Karin Waßmer

M a l e r e i u n d Z e i c h n u n g e n

Über die Künstlerin

 

KÖRPERBILDER VON KARIN WAßMER

Karin Waßmers Gemälde und Zeichnungen lassen wohl niemanden unberührt.

Sie provozieren, müssen erst einmal bewältigt werden, denn sie offenbaren auf sehr drastische Weise die Einwirkung psychischer und physischer Gewalt und deren bleibende Spuren. Ihrem Themenfeld der früheren Jahre ist die Künstlerin treu geblieben. Eindringliche Sinnbilder des Schreckens entwickelt sie in immer neuen Variationen weiter, wobei sie ein zunehmend breites Repertoir an Ausdrucksformen gewinnt.

Unendliches Leid und grenzenloser Schmerz sind thematisiert. Immer wieder gibt es Amputationen, offene Wunden oder dicke Sturzbäche von Blut, die sich wie glühendes Magma aus Körperöffnungen ergießen. Und dann sind da die aufgerissenen Pupillen, die Angst machen. Die traktierten Wesen rücken unweigerlich auf die Pelle. Keine Frage: sie stehen für das Ungeheuerliche, das Menschen anderen anzutun in der Lage sind.

Alle Figuren Waßmers sind nackt, alle sind Frauen. Sogar ein Skelett trägt die Andeutung weiblicher Geschlechtlichkeit. Meist konzentriert sich die Künstlerin auf eine Einzelgestalt, die sie mit kompositorischer Sicherheit im Bildformat verspannt.

Die Bildgrenzen markieren den klaustrophobischen Umraum, in dem sich die beunruhigende Ausweglosigkeit der auf sich selbst Zurückgeworfenen zuträgt. Dass die Farbe Rot oft heraussticht, mag nicht überraschen; ob als unheilvoller Hintergrund, als Farbe des Blutes oder, in raffiniert chanchierenden Ausmischungen, als Farbe des bloßliegenden Fleisches. Präzise markiert die Signalfarbe Rot die Stellen der Verletzungen des Opfers: häufig sind es die Genitalien oder Brüste der Frauen.

Ein menschliches Etwas liegt da, mit schmerzlich verkrümmten Extremitäten - in sich gestaucht und verdreht wie ein abgehäutetes Neugeborenes auf der Sezierbank. Der rosa Fleischton markiert es: Die Haut als die natürliche Außengrenze des Körpers existiert nicht mehr. Ihrer Hülle, damit ihrer Integrität beraubt, sind die Protagonistinnen auf den Bildern Waßmers schutzlos ihrer Umgebung ausgeliefert. Wärmeempfindung, taktile Reize, aber auch Atmung, die normalerweise über die Haut stattfinden, scheinen nicht mehr möglich.

Vielfach fehlen den Frauenfiguren auch Arme und Beine. Bar ihrer Extremitäten, sind sie auf den Torso reduziert. Sie wirken unfähig wegzulaufen oder sich zu wehren. Als ob dem nicht schon genug ist sieht man, dass der Unterleib der Gestalten geöffnet ist. Wie ausgeweidetes Schlachtvieh liegen sie da: klaffende Wunden als Anspielungen auf eine verletzte Seele. Dennoch ist der Leibesstumpf bei Waßmer nicht nur Symbol für absolute Ohnmacht, ist die Vereinzelung nicht nur Metapher abgrundtiefer Verzweiflung. Vielmehr vollzieht sich in diesen Bollwerken des Fleisches eine stille Rebellion des Individuums. Auch dass auf den deformierten Leibern, insbesondere zu erkennen an den Mischtechnikblättern, oft monströse Fratzen sitzen, macht diese Figuren vielschichtig. Ausgestattet mit riesigen Glotzaugen und einem Schädel, der zwischen Totenkopf und Insektenlarve pendelt, werden sie Zeugen für die irritierende Komplexität menschlichen Empfindens.

Obwohl sich die geschundenen Existenzen ganz unten befinden, scheint ihr Überlebenswille bei näherem Hinsehen verblüffenderweise ungebrochen. Das ist die hoffnungsvolle Botschaft, die von solch schockierenden Bildern ausgehen mag. Könnte es für dieses “Und-Trotzdem” ein sprechenderes Bild geben als das vom Gerippe, das sich in Ermangelung von Armen und Beinen dennoch zum Gehen anschickt? Seine Brustwirbel sind aufge- bogen und dienen nun als Fortbewegungsmittel. Mit ihnen krabbelt das Skelett einem Spinnentier gleich über den blutroten Erdboden. Oder hat es seine Flügel ausgebreitet, um zu fliegen?

Wer so geht, geht mit dem Mut der Verzweiflung. Und wer so fliegt, fliegt mit dem Mut der Verzweiflung. Die Malerin pflegt einen spontan gesetzten Pinselduktus und bedient sich einer pastosen Technik, um einzelne Partien plastisch hervortreten zu lassen. Bisweilen kratzt ihr Pinsel hastig an der Leinwand, als ob er Tieferliegen- des ans Licht holen möchte.

Augenscheinlich ist Waßmer am verborgenen Innenleben ihrer Protagonistinnen interessiert, das sie wie eine Chirurgin freilegt. Der Pinsel als Seziermesser, das ins Innerste der Psyche vordringt.

Um das eigentlich nicht Darstellbare darzustellen, beruft sich die Künstlerin auf die große expressionistische Tradition. In emblematischen Körperbildern findet sie allgemein gültige Pathosformeln für Bedrohung, Vereinzelung und unsägliche Pein.

Zugleich macht sie gängige Symbole von Tod und Vergänglichkeit ihrer unverwechselbar eigenen Bildsprache verfügbar.

 

Es zählt zur herausragenden Leistung Waßmers, eine sehr individuelle Ikonografie zur Projektionsfläche menschlicher Befindlichkeiten werden zu lassen. So geraten die kraftvollen Gemälde und Zeichnungen Waßmers zu einprägsamen Allegorien der Verletzlichkeit menschlicher Existenz.

 

von Harald Tesan Kunsthistoriker, Nürnberg